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Wie wird der Auftragnehmer bei Bauablaufstörungen angemessen entschädigt? Und wer legt dies fest?
Der BGH klärt wichtige Fragen zum Entschädigungsanspruch – vermutlich in einem zukünftigen „Baurechts-Klassiker“
Eine der wichtigsten Vorschriften für Auftragnehmer (AN) im Zusammenhang mit gestörten Bauablaufen ist § 642 BGB. Dieser gewährt dem AN unter bestimmten Voraussetzungen angemessene Entschädigung für die nutzlose Vorhaltung von Produktionsmitteln in bestimmten Behinderungsfällen. In zwei maßgeblichen Entscheidungen, einer vom 26.10.2017 und der brandaktuellen Entscheidung vom 30.01.2020 klärt der BGH eine Vielzahl von jahre- oder jahrzehntelangen Streitfragen – mit weitreichenden Konsequenzen für die Bauwelt.
BGH vom 26.10.2017
In seiner bis Dato aktuellsten tonangebenden Entscheidung zu § 642 BGB vom 26.10.2017 (Az. VII ZR 16/17) hatte der BGH schon eine Reihe von Streitpunkten im Zusammenhang mit dem Entschädigungsanspruch des AN bei Bauablaufstörungen höchstrichterlich geklärt, für eine faustdicke Überraschung gesorgt aber einige Fragen – auch zur Höhe der Ansprüche – offen gelassen. So hatte der BGH u.a. festgestellt, dass es sich bei dem verschuldensunabhängigen Entschädigungsanspruch nicht um einen umfassenden – verschuldensabhängigen – Schadensersatzanspruch handelt.
Der Entschädigungsanspruch greift inhaltlich kürzer.
Schlecht für den AN, gut für den AG.
Andererseits gelten aber auch nicht die strengen Darlegungs- und Beweisanforderungen eines Schadensersatzanspruchs.
Gut für den AN, schlecht für den AG.
Der BGH beschränkt im Oktober 2017 auch – und das war der eigentliche Paukenschlag – das zeitliche Kriterium für die Bemessung der Entschädigungshöhe auf die Dauer des Annahmeverzug. Mehrkosten, die erst nach Ende des Annahmeverzugs bei der späteren Ausführung der Leistungen entstehen, bleiben also unberücksichtigt.
Der BGH hat in jener Entscheidung auch darauf hingewiesen, dass die Höhe der Entschädigung nach der vereinbarten Vergütung zu bemessen ist, die auch den in dieser Vergütung enthaltenen Anteil für AGK und Wagnis und Gewinn enthält.
Offen blieb aber die Frage, welchen Inhalt der Entschädigungsanspruch hat, insbesondere, wie er zu bemessen ist.
Der BGH bringt mit seiner aktuellen Entscheidung vom 30.01.2020 Licht ins Dunkel – mit ganz interessanten Ansätzen.
BGH vom 30.01.2020
In der soeben erst veröffentlichten Entscheidung vom 30.01.2020 (Az. VII ZR 33/19) sorgt der BGH für mehr Rechtssicherheit für alle Beteiligten – wenngleich natürlich immer noch Fragen ungeklärt bleiben. Alles andere ist auch so gut wie undenkbar.
Doch was hat der BGH jetzt geklärt, was über Jahre höchst streitig war?
Nicht überraschend ist, dass der AN für den Zeitraum einer Behinderung (Annahmeverzug des AG) über § 642 BGB einen verschuldensunabhängigen Ausgleich für die von ihm nachweislich unproduktiv vorgehaltenen Produktionsmittel einschließlich der hierauf entfallenden Anteile für allgemeine Geschäftskosten sowie Wagnis und Gewinn verlangen kann. Nicht überraschend ist auch, dass sich der AN dabei das anrechnen lassen muss, was er durch anderweitigen Erwerb erhält oder erhalten könnte.
Der BGH stellt aber klar, dass die vom Berufungsgericht (KG, Urt. v. 29.01.2019) angedachte Tatbestandsvoraussetzung eines Nachteils des AN in Form von Vorhaltekosten für vergeblich bereitgehaltene Produktionsmittel in Wirklichkeit eben das nicht ist – ein Tatbestandsmerkmal. Also ist der Nachteil keine Voraussetzung für eine angemessene Entschädigung – wenngleich der Gesetzgeber typischerweise von einem Nachteil ausging. Voraussetzung ist nur, dass der AG durch das Unterlassen einer Handlung, die bei der Herstellung des Werks erforderlich ist (beispielsweise zur Verfügungstellung des aufnahmebereiten Baugrundstücks) in Annahmeverzug gerät.
Jetzt hat der BGH auch die bislang umstrittene Frage geklärt, dass die zu gewährende angemessene Entschädigung nicht „von oben“ sondern nur „von unten“ zu ermitteln ist:
„Von oben“ hätte den Vergütungsanteil für den Störungszeitraum abzgl. ersparte Aufwendungen und anderweitigem Erwerb bezeichnet.
„Von unten“ bezeichnet den Vergütungsanteil der vorgehaltenen Produktionskapazitäten einschl. AGK und WuG Zuschläge.
Die angemessene Entschädigung ist im Ausgangspunkt also an den auf die unproduktiv bereitgehaltenen Produktionsmittel entfallenden Vergütungsanteilen einschließlich der Anteile für allgemeine Geschäftskosten sowie für Wagnis und Gewinn zu orientieren. Im Ergebnis heißt das, dass der AN bspw. beim Personal die konkrete Vorhaltung für das Projekt darlegen und diese anhand der vereinbarten Vergütung (wohl mittels Kalkulation) bewerten muss.
- 642 BGB gewährt dem AN keinen vollständigen Ausgleich für die während des Annahmeverzugs nicht erwirtschaftete Vergütung – „nur“ eine angemessene Entschädigung.
Nach Ansicht des BGH
sind Maßstab für die Bemessung der Entschädigung nicht die tatsächlichen Kosten für die Bereithaltung von Produktionsmitteln – sondern die vereinbarte Vergütung. Denn aus der Bezugnahme auf die „vereinbarte Vergütung“ wird deutlich, dass mit dem Ersatz allein der tatsächlichen Kosten der Bereithaltung von Produktionsmitteln eine unzureichende Kompensation des AN verbunden sein könnte;
erfolgt eine Berechnung der Entschädigung nicht in Anlehnung an die Vorschriften über eine freie Kündigung (früher: § 649 Satz 2 BGB a.F., jetzt § 648 Satz 2 BGB), denn die Situationen des Annahmeverzugs und der freien Kündigung sind nicht miteinander vergleichbar.
Der AN könnte bei Anwendung von § 648 Satz 2 BGB zu Unrecht bessergestellt werden. Einerseits sind bei § 648 BGB nur „echte Füllaufträge“ als anderweitiger Erwerb zu berücksichtigen. Andererseits behält ja der AN bei einem Entschädigungsanspruch trotz Störung seinen vollen Vergütungsanspruch, den er nach der Beendigung des Annahmeverzugs verdienen kann.
Der BGH erteilt den insb. von AN vorgetragenen Forderungen eine Absage, über § 642 BGB auch den anteiligen Umsatz zu erstatten. Dabei kommt es nicht darauf an, ob dieser in Form von „unterdeckten“ AGK oder entgangenen Gewinns besteht.
Der BGH meint, § 642 BGB gewähre keinen vollständigen Ersatz des einem AN entstandenen Schadens. Einen solchen weitergehenden Schadensersatz schließt der BGH bei einer vom AG verschuldeten Pflichtverletzung nicht per se aus. Ob ein AN also einen Schadensersatzanspruch geltend machen kann, der entgangenen Gewinn oder „unterdeckte“ AGK einschließt, bleibt auch jetzt eine Einzelfallfrage. Dann ist die Anspruchsgrundlage aber nicht § 642 BGB.
Der BGH stellt fest, dass die Entschädigung § 642 BGB „angemessen“ sein muss – aber auch, dass die Vorschrift selbst keine exakte Berechnung vorsieht.
Gibt es also keine Entschädigung, weil niemand weiß, wie diese zu berechnen ist? Natürlich nicht!
Der BGH geht davon aus, dass der Tatrichter im Rahmen der erforderlichen Abwägung einen Ermessensspielraum hat und er dabei auf die Möglichkeit der Schätzung nach § 287 ZPO zurückgreifen kann.
- 642 BGB bietet nur Anhaltspunkte zur Bestimmung des „angemessenen“ Entschädigungsanspruchs, in dem er neben der Angemessenheit vier (4) weitere zu berücksichtigende Kriterien benennt:
Einerseits
- Dauer des Annahmeverzugs
- Vereinbarte Vergütung
Andererseits
- Ersparte Aufwendungen
- Anderweitiger Erwerb
Die Formulierung „einerseits – andererseits“ macht deutlich, dass der Tatrichter eine Abwägungsentscheidung zu treffen hat.
Handlungsempfehlung
Der AN ist gut beraten, Umfang und Kosten der vorgehaltenen Kapazitäten zu dokumentieren. Nur so kann er den Anforderungen der Darlegungslast genügen. Auch AG müssen selbst im Fall unverschuldeter Behinderungen, den Umfang der vorgehaltenen Kapazitäten klären und vor allem anderweitige Erwerbsmöglichkeiten eröffnen.
Für die Rechtsanwender bleibt es schon deswegen spannend, weil es gelten kann, In laufenden Gerichtsverfahren bislang versäumten – weil noch nicht nötigen – Prozessvortrag nachzuholen. Aber auch im Rahmen der projektbegleitenden Rechtsberatung gilt es schnellstmöglich eventuelle Versäumnisse in der Dokumentation aufzuholen.
Wir stehen Ihnen für Rückfragen zu diesem spannenden Thema stets gerne zur Verfügung.